Aus für die Sozialkliniken in Griechenland – aber die Hilfe geht weiter

Mit einem Vortrag von Giogios Chondros (Syriza-Politiker) im Oktober 2013 fing sie an – die Hilfe vom Bodensee für die KIFA, einer Sozialklinik im Zentrum Athens. Bis Oktober 2022 kamen über 105 000 Euro an Spendengelder zusammen, berichtet Steuerberater Peter Mannherz, der das Treuhandkonto verwaltet. Nach längerer „Corona-Pause“ konnte im November endlich wieder ein Besuch in Athen stattfinden.

Grund des Besuchs der „Delegation“ vom Bodensee und Reutlingen in Begleitung von Giorgos Chondros (Syriza-Politiker) war, sich über die schwierige finanzielle Situation und die Arbeit unter den geänderten gesetzlichen Vorgaben zu informieren. Ein weiteres wichtiges Thema waren die Perspektiven des Vereins MSA (Medizinisches Solidarisches Zentrum Athen), der Nachfolgeorganisation der „Sozialklinik KIFA“. Beim Besuch in den Räumen der ehemaligen „Sozialklinik“, einer 140 qm großen Wohnung im Zentrum Athens direkt neben dem Rathaus waren 6 Mitglieder des 2020 gegründeten Vereins anwesend.

Dramatische Situation im Gesundheitssektor

Die griechische Regierung Mitsotakis (Nea Dimokratia) änderte 2020 das Gesetz zu den Sozialkliniken. Die meisten Einrichtungen mussten geschlossen werden. Offizielle Begründung: Gesundheitsversorgung sei Aufgabe des Staates und nicht von privaten Organisationen. Das stimmt. Aber das griechische öffentliche Gesundheitswesen ist in einem desolaten Zustand und völlig überlastet, so dass die Sozialkliniken für die medizinische Versorgung wertvolle Arbeit leisteten. In den Sozialkliniken versorgten ÄrztInnen, KrankenpflegerInnen und ApothekerInnen Kranke ehrenamtlich und kostenfrei.

Immerhin wurde das Gesetz der Syriza, das für alle den Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem gewährleistete, nicht geändert. 2015 hatten 2,5 Millionen Griechinnen und Griechen – ein Viertel der Bevölkerung – keinen Schutz der Krankenversicherung. Viele konnten die Krankenkassenbeiträge nicht mehr aufbringen und sich deshalb auch nicht medizinisch behandeln lassen.

Griechenland musste im Zuge der Sparauflagen der Troika (Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission) die gesamten Ausgaben im Gesundheitssektor massiv senken. Unter dem Zwang der Troika wurden von der Regierung Samaras (Nea Dimokratia, 2012 bis 2015) 30 Prozent der Krankenhausärzte, und 40 Prozent des Pflegepersonals entlassen. Großer Personalmangel und Unterfinanzierung der Krankenhäuser sowie des gesamten Gesundheitssektors sind auch heute ein riesiges Problem in Griechenland.

Laut „Health Statistics 2019“ der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) lagen die Ausgaben für Gesundheitsversorgung im Jahr 2018 etwa ein Drittel unter dem Niveau von 2010. Damit fielen die Gesundheitsausgaben pro Kopf auf 1.349,2 Euro, nur 29 Prozent der Ausgaben in Deutschland, so die OECD.  Wer ins Krankenhaus geht, muss Bettwäsche, manchmal auch Kissen und Essen mitbringen. Angehörige müssen bei der Versorgung der Patienten helfen, berichtete Lena Kougea vom Verein MSA.

Von der KIFA zum Medizinischen Solidaritätszentrum Zentrum Athen

In dem zweistündigen Gespräch konnten die Mitglieder des Vereins mit Hilfe der Übersetzungen von Dimitra Nikolaidou und Giorgos Chondros ihre Arbeit seit 2019 und die finanzielle Situation erläutern. Es ging immer wieder auch um die soziale Lage in Griechenland. Auf das gesetzliche Verbot ihrer Arbeit in der Sozialen Arzt- und Apothekenpraxis KIFA reagierten die allesamt ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schnell. Sie gründeten den gemeinnützigen Vereins MSA: Das Medizinische Solidaritätszentrum Athen. Dank der Spenden aus Deutschland konnten sie ihre Räume behalten. Sie hoffen, dass sich die Situation für die ehrenamtliche Hilfe im Gesundheitsbereich wieder ändert und sie wieder Behandlungen anbieten können. Im Frühjahr 2023 sind Parlamentswahlen, Ausgang unbestimmt.

Hilfeleistungen des MSA

In den Räumen der ehemaligen KIFA und jetzt MSA (Medizinisches Solidaritätszentrum Athen) sind medizinische Behandlungen nicht mehr erlaubt – mit Ausnahme zahnärztlicher Behandlungen. Das gut ausgestattete Behandlungszimmer mit modernem Luftfilter ist in Betrieb. Auch psychologische Beratungen dürfen noch in den Räumen stattfinden. Sie wurden und werden aber wegen Corona auch telefonisch durchgeführt. Bis zum Verbot der KIFA kamen bis zu 100 Menschen pro Tag, um sich medizinisch behandeln zu lassen und Medikamente zu bekommen. Inzwischen sind es weniger.

Dem Verein MSA ist es erlaubt, gekaufte Medikamente an Bedürftige weiterzugeben, und sie tun das, wie Costas Kokossis betont, unabhängig von deren Religion, Herkunft, Geschlecht, Aufenthaltsstatus usw. Er ist neben Lena Kougea verantwortlich für die Verwaltungsangelegenheiten des Vereins. Bedürftig sind vor allem Flüchtlinge – während des Gesprächs holten zwei Mitarbeiter einer Flüchtlingsorganisation Medikamente für Flüchtlinge an der griechisch-albanischen Grenze ab. Bedürftig sind aber auch Menschen, oft ältere, unterhalb der Armutsgrenze, die die Zuzahlungen bei Medikamenten nicht mehr bezahlen können. Die Selbstbeteiligung wurde durch die Mitsotakis-Regierung von 10% auf 25% für jedes Medikament erhöht.

Weitere Hilfeleistungen der KIFA bzw. MSA waren seit 2019 waren u.a.

  • die Lieferung von Medikamenten, Bettdecken, Kleidung, Schulmaterialien und Impfstoffen (damit die Kinder in Griechenland die Schule besuchen konnten) an zentrale Aufnahmestellen auf Lesbos, Eretria auf Euböa und in Attika: Skaramangas (östlich von Athen) und in Malakasa und Ritsona (nördlich von Athen);
  • Unterstützung des Kaufs und der Lieferung von Medikamenten an Palästina;
  • Unterstützung des Flüchtlingsforums Afghanistan und Syrien;
  • Telefonische Beratung während der Corona-Pandemie, als viele nicht in der Lage waren, medizinische Hilfe aufzusuchen oder einfach nicht wussten, wie sie sich verhalten sollten;
  • Lieferung von Medikamenten und medizinischem Material nach Armenien – aufgrund des Krieges mit Aserbaidschan.

Situation der Flüchtlinge in Griechenland

Es ist schwierig, Medikamente und andere Hilfsgüter zu den Flüchtlingen zu bringen, berichtet Costas. Die Flüchtlingscamps sind mit Zäunen oder Mauern abgesperrt. Niemand darf raus, niemand kommt rein. Außer Flüchtlingsorganisationen, mit denen MSA zusammenarbeitet. Aber auch diese Organisationen haben es schwer, Zugang zu den Flüchtlingen zu bekommen.

Insgesamt hat sich die Situation der Flüchtlinge in Griechenland stark verschlechtert.

Die Flüchtlinge, die neu ankommen, leben in geschlossenen Lagern. Die Asylsuchenden, die anerkannt sind, fallen aufgrund einer Gesetzesänderung durch die Mitsotakis-Regierung im Mai 2021 aus jeder staatlichen Unterstützung heraus. Das bedeutet, dass sie ab dem Zeitpunkt der Entlassung aus dem Flüchtlingslager, also wenn sie als Flüchtlinge anerkannt sind, vor dem Nichts stehen. Obdachlos, arbeitslos, ohne Essen, die Kinder können nicht mehr zur Schule gehen. Manche, so Lena, würden sogar darum bitten, wieder ins Lager aufgenommen zu werden.

Finanzen des Vereins MSA

Trotz des großen Spendenaufkommens ist die Kasse leer,“ stellt Peter Mannherz fest. Sein Fazit nach der Kostenaufstellung für die Zeit von 2019 bis jetzt: „Es werden dringend neue Spenden benötigt, um die laufenden Mietzahlungen in Athen sicher zu stellen und Medikamente für die hauseigene Apotheke einzukaufen.“

Um die Kosten zu senken, wurde diskutiert, eine kleinere Wohnung zu suchen. Wobei die aktuelle Wohnung mit 140qm für die Aktivitäten des Vereins nicht unangemessen groß ist. Die Wohnung mit einer Rezeption, einem „Apothekenraum“, dem Zahnarztzimmer, einem Büro und zwei ehemaligen kleinen Behandlungsräumen kostet nur 550 EUR Miete, und das im Zentrum Athens. Die monatlichen Ausgaben des Vereins belaufen sich auf ca. 1000 EUR. Regelmäßige Spenden in Höhe von 850 EUR kommen vom Bodensee und von Solidarité-Santé in Lorraine/Frankreich. Damit sind nicht einmal die laufenden Kosten gedeckt.

Spenden waren sehr hilfreich

Ausdrücklich bedankten sich die MSA-Mitglieder für die vielen Spenden der letzten Jahre: für die Medikamente, Geldspenden und die medizinischen Geräte vom Gesundheitsnetzwerk Hegau, für die Privatspenden von Peter Lenk und von Freunden vom Bodensee sowie von anderen Unterstützern. Seemoz berichtete seit 2013 mehrfach über die KIFA, das Gesundheitswesen und über die Politik in Griechenland in der Krise; auch über die Arbeit von Solidarity4all, einem großen Netzwerk von zivilgesellschaftlichen Organisationen in Griechenland, das 2012 in Zeiten der großen Wirtschaftskrise gegründet wurde und sehr aktiv ist. Zum Netzwerk Solidarity4all gehören Organisationen wie das MSA, Flüchtlingsorganisationen und viele soziale Organisationen, die gegen soziale Armut kämpfen. Solidarity4all sei ein Dorn im Auge der Mitsotakis-Regierung, meinen Mitglieder des MSA, deshalb auch das Verbot der Sozialkliniken. Aber sie wollen alle weitermachen – auch wenn man sieht, wie schwer die Arbeit ist und wie schwer es ihnen fällt, die große soziale Not in der Gesellschaft auszuhalten.

Die Organisatorinnen und Organisatoren der Hilfe für die KIFA/MSA bitten um Spenden.

Treuhandkonto Peter Mannherz bei der Volksbank Konstanz-Radolfzell,

IBAN DE 1869 29 1000 226 191 800

BIC GENODE61RAD

www.seemoz.de