Ciao, Bert

Bertram „Bert“ Nissel (1954–2016) ist Ende Mai nach kurzer Krankheit verstorben. Bert war Mitbegründer des „s‘ beese Miggle“, der legendären Szene-Kneipe in Konstanz, die von 1976 bis 1985 im Stadtteil Stadelhofen erste Adresse für Polit- und Musikfreaks aus dem gesamten Landkreis und weit darüber hinaus war. Ein Nachruf auf einen langjährigen Weggefährten und warmherzigen Zeitgenossen.

Mitte Februar haben wir uns zum letzten Mal in der Stadt getroffen. Bert lief etwas unrund und machte sein Kreuz dafür verantwortlich. Später dann erfuhr ich, ein höchst bösartiger Tumor trieb schon länger sein gefräßiges Unwesen und Berts Überlebenschancen waren von Anfang an äußerst gering.

Kennengelernt habe ich ihn vor rund 40 Jahren. Wir beide waren Teil des Miggle-Clans, wie man unsere Gruppe gemeinhin nannte in der Konstanzer Szene. Ich mochte den Kerl von Anfang an. Bert war völlig uneitel, grundsolide und bodenständig, dazu überaus loyal. Ein geselliger Gruppenmensch, dazu einer, dem Höhenflüge aller Art (die wir bisweilen mit Leidenschaft pflegten, nicht zuletzt der Schreiber dieser Zeilen), zutiefst fremd waren. Bert, die Zuverlässigkeit in Person, war mit ein Garant für den laufenden Betrieb, eine absolute Konstante, Kitt auch in stürmischen Zeiten.

Nicht sonderlich leiden konnte er, dann wunderbar schwäbisch vor sich hin bruddelnd, die Großredner und Schönschwätzer, für die ein Miggle-Besuch auch meist ein selbstverliebtes Schaulaufen vor größerem Publikum war. Berts Sympathien galten da eher Hugo, dem abgestürzten Taxifahrer, oder dem einst so schönen Sigi, der gerne und sehr ausführlich von Begegnungen mit Außerirdischen berichtete und zu seinen besten Zeiten in der Lage war, die ganze Kneipe in seinen Bann zu ziehen. Da gab es von Bert schon mal ein Pils oder einen Teller Schinkennudeln aufs Haus. Kleine Gesten, die für ihn selbstverständlich waren.

Mitte 1985 gaben wir das Miggle auf und unsere Wege trennten sich friedlich und in Freundschaft. Später machte Bert noch eine Ausbildung als „Druckvorlagenhersteller“, wie man das damals nannte. Zwanzig Jahre lang blieb er einer Druckerei treu, bis diese der Insolvenz zum Opfer fiel. Bert wurde über Nacht arbeitslos, was ihm, dem umtriebigen Schaffer, doch recht schwer aufs Gemüt schlug. Wenn wir uns begegneten, er hatte seine „Sprechstunde“ beim Tchibo in der Hussenstraße eingerichtet, schimpfte er missmutig darüber, welche nutzlosen Kurse ihm wieder verordnet worden waren. Aber nach einer längeren Durststrecke schien sich für ihn der Familienkreis wieder zu schließen. Bert fand eine Anstellung bei KoKo-Entertainment, der Firma seines Bruders Armin. Dort arbeitete er teilweise mit Leuten zusammen, die sowieso seit Jahrzehnten zu seinem engsten Freundeskreis gehörten. Alles schien angerichtet für eine halbwegs gesicherte Existenz im letzten Lebensabschnitt. Doch es kam leider anders.

Bertram Nissels Asche wurde auf dem Friedwald bei Langenrain unter einer Buche beigesetzt, unweit des Golfplatzes und mit Seesicht. In früheren Zeiten hätte er zumindest beim Studieren der Preisliste für Bestattungen dieser Art wohl die Augenbrauen hochgezogen und einen schrägen Spruch von sich gegeben: „Im nächsten Leben mache ich auch so einen Laden auf, da kommt wenigstens was rum und gestorben wird nachweislich immer“.

Ich werde diese liebenswerte Schwabenseele nicht vergessen.

 

Lang ist’s her …

(hr) Ein Blick zurück in die späten siebziger Jahre. Wir betrieben die Konstanzer Kultkneipe „s´ beese Miggle“ und Bert war von Anfang an mit dabei. Dort, in der Zogelmannstraße, traf sich mangels akzeptabler gastronomischer und auch musikalischer Alternativen so ziemlich alles, was das damalige Stadtbild neben Ureinwohnern sonst noch zu bieten hatte. Angehende Punk- und Rock- Musiker, spätere Uni-Professoren, Politfreaks jedweder Couleur, StudentInnen, Anarchisten, UmweltaktivistInnen, Weltuntergangspropheten, Schwulen- und Lesbengruppen, HausbesetzerInnen, Dichter mit glasigem Blick, PLK-Patienten mit viel Freigang, amüsante Spinner und Abgedrehte, bisweilen auffällig unauffällige Staatsschützer, Kampftrinker, fröhliche Biker, Hochstapler, Frauengruppen, über allen Wolken schwebende Bhagwanesen, KommunardInnen, einsame Seelen, Traumtänzer, die örtliche Rockergruppe Omen, Azubis, Schülerinnen mit Henna im Haar und Patchouli am Hals, Obdachlose und Müßiggänger aller Art. Die Freie Grüne Liste (FGL) wurde im Hinterzimmer gegründet und die „Nebelhorn“-Redaktion war hier ebenfalls anzutreffen. Der Laden brummte wie kaum ein anderer und es dauerte nicht lange, da konnte das Miggle mit den höchsten Bierumsatz in Konstanz verzeichnen.

Dazu gab es regelmäßig Konzerte mit Folk- und Rockgruppen aus ganz Deutschland und für Straßenmusiker, die gerade durchs Land zogen, war das Miggle die erste Adresse am Bodensee.

Hier konnte man sich ein paar Mark verdienen und Kost und Logis gab es gratis dazu. „Bernies Autobahnband“ konnte man hier hören; die überaus trinkfesten irischen „Wild Geese“ fiedelten sich mit angeschwollener Leber bis in die frühen Morgenstunden die Seelen aus dem Leib; Tommy aus München, der später als „Faltsch Wagoni“ tourte, war da; das „Mobile Einsatzkommando“ (MEK) aus Bochum brachte die Kneipe zum Kochen; Lydie Auvray zeigte, wie ein Akkordeon auch anders klingen kann; Sigi Maron, die proletarische Speerspitze der österreichischen Liedermacherbewegung gastierte hier; die legendären „Drei Tornados“ aus Berlin kamen gerne vorbei, ebenso zu den Gästen zählten Günter Wallraff und Wolfgang Ambros – um nur einige ganz wenige zu nennen.

Auch Zoran Djindic, späterer Ministerpräsident Serbiens, trank während seiner Konstanzer Studentenzeit sein Bier im Miggle, das vor allem bis Ende der siebziger Jahre ein Schmelztiegel für all jene war, denen die Bürger- und Weinbeizen im Landkreis Konstanz zu eng und zu muffig waren. Dem „Südkurier“ waren wir damals zutiefst suspekt. Das Miggle wurde konsequent tot geschwiegen. Zwar verirrten sich ab und an tarnkappenbewehrte SK-Mitarbeiter in unsere brodelnde Kaschemme, doch offiziell gab es uns nicht und unsere Konzerttermine wurden samt und sonders standhaft ignoriert. Im April 1985, nach fast zehn Jahren, schlossen wir den Laden und jede/r ging friedlich seiner Wege. Das Miggle war zweifellos ein lebendiges Stück Konstanzer Geschichte und Bert war ein wichtiger Teil davon.