Die Streitmacht Gottes

Die Streitmacht Gottes

Während die christliche Welt vor einigen Monaten die Wahl von Papst Franziskus feierte, glauben die Mitglieder der „Palmarianischen Kirche“, der „wahre Papst“ befände sich längst in ihren Reihen. Fest davon überzeugt ist auch Maria K. aus einem kleinen Dorf nähe Singen am Hohentwiel.

Seit Jahren organisiert sie Pilgerfahrten in die spanische Kleinstadt Palmar de Troya, etwa 30 Kilometer südlich von Sevilla gelegen. „Dort“, so die „Palmarianerin“ im Brustton der Überzeugung, „residiert der einzige Pontifex, unser neuer Papst Pedro II.“. Eine Glaubensschwester aus der Ostschweiz ist ähnlicher Meinung: „Der angebliche Papst in Rom ist ein Thronräuber und Freimaurer, beeinflusst von Juden und eingesetzt vom Widersacher“. In den Schriften und „Botschaften“ der Palmarianer wurde der 2005 verstorbene Papst Johannes Paul II. als das „große Tier der Apokalypse“ bezeichnet.

Von 1975 bis zu seinem Tod im Jahre 2005 galt „Papa Clemente“, mit bürgerlichem Namen Clemente Dominguez y Gomes, als geistliches Oberhaupt der Endzeitsekte in Spanien. Spätestens im Jahre 2000, so eine seiner zahllosen „Prophezeiungen“, seien die Tage der Menschheit gezählt und die Welt würde untergehen. Clemente ließ sich 1978 von einem später exkommuniziertem Erzbischof erst zum Bischof wählen und ernannte sich kurz darauf zum Papst Gregorius XVII. Später dann kürte er einige seiner engsten Mitstreiter zu Bischöfen und Kardinälen, darunter auch zwölfjährige Kinder. In der spanischen Presse kursieren seit Jahren Berichte über Drogenexzesse und Kindesmissbrauch. Doch der spanische Staat hat die Palmarianer als Glaubensgemeinschaft anerkannt und läßt sie weitgehend in Ruhe.

Abgeschottet vom Rest der Welt

Im Wüstensand von Palmar de Troya ließ Clemente eine gigantische Kathedrale errichten, überwiegend finanziert durch Spenden seiner weltweit geschätzten 10 000 Anhänger. Die Sektenburg ist eingezäunt von einer fünf Meter hohen Mauer, ein bewaffneter Wachdienst und dressierte Kampfhunde sorgen dafür, dass keine „Ungläubigen“ auf das Gelände gelangen. Das jährliche Spendenaufkommen für das religiöse Wahnsystem der Palmarianer wird immer noch auf mehrere Millionen Euro geschätzt.

Hinter den hohen Mauern leben, hermetisch von der Außenwelt abgeschottet, die Schwestern und Brüder des selbsternannten Ordens der „Karmeliter vom heiligen Antlitz“, darunter auch einige Deutsche und Schweizer. Die Palmarianer haben alle mit der katholischen Kirche gebrochen. Sie dürfen weder Zeitung lesen, noch Radio und Tonträger hören oder ein Fernsehgerät besitzen. Frauen müssen lange Röcke tragen, Jeans, kurze Hosen oder sogar Strumpfhosen sind strikt verboten.
Auch die Sektenmitglieder fernab der spanischen Trutzburg halten sich strikt an die Anweisungen aus der Sektenzentrale. „Alles, was wir tun sollen und wissen müssen“, erzählt eine Palmarianerin der ersten Stunde, „wird uns vom Heiligen Vater aus Palmar über göttliche Botschaften übermittelt“.

Die Palmarianer verstehen sich als die auserwählte Streitmacht Gottes, kämpfen gegen alle modernistischen Strömungen und teuflischen Mächte. Der neue Papst Pedro II. hat seinen Anhängern kurz nach seinem Amtsantritt mitgeteilt, mit dem Weltuntergang sei es nun erst 2015 soweit. Dann werde er in Jerusalem ans Kreuz geschlagen und das Ende der Welt würde somit eingeleitet. Diese „göttliche Botschaft“ habe der verstorbene Clemente kurz vor seinem Tod erhalten und ihm in letzter Minute noch mitgeteilt.

Auch Kinder unter den Opfern

Vor allem in Süddeutschland existieren, meist in privaten Räumen, insgesamt 15 „Messzentren“ der Sekte. In Kempten, bei Augsburg, in Singen, Stockach und bei Waldshut, leben einige Palmar-Familien. Dazu kommen noch etwa genau soviele Palmar-Ableger in der Schweiz, Liechtenstein und Österreich. „Missionspatres“ betreuen vor Ort die Palmar-Anhänger und halten die Messen nach altem Ritus, dazu komplettieren Sühne- und Schweigenächte den Alltag der religiösen Fanatiker. Immer wieder werden die Palmarianer auch angehalten, für das „heilige Werk“ Geld zu spenden, denn das Spendenaufkommen soll rückläufig sein. Vor allem auf ältere Menschen mit Sparguthaben und Grundbesitz haben es die fundamentalistischen Glaubenskrieger abgesehen.

Anna S.aus der Nähe von Waldshut hat letztes Jahr festgestellt, dass ihre Mutter, eine überzeugte Palmarianerin, rund 100 000 Euro der Sekte gespendet hat. „Das war fast alles“, so die Tochter, „was sich unsere Mutter zusammen gespart hat“. In den letzten Jahren soll die alte Dame immer sonderlicher geworden sein: „Wir durften ihre Wohnung nur noch betreten, wenn wir lange Röcke trugen“.

Aber es geht auch um das körperliche und seelische Wohl betroffener Kinder und Jugendlicher, die teilweise von ihren Eltern nach Palmar gebracht werden, um dort auf ihr späteres Leben als vollwertiges Mitglied der Sekte vorbereitet zu werden. Barbara H., eine heute 32jährige Frau aus Grafing bei München, wurde als junges Mädchen von ihren Eltern nach Spanien gebracht und lebte als Ordensschwester einige Monate in Palmar de Troya. Noch heute kann sie kaum über ihre Erlebnisse sprechen. „Ich wurde völlig isoliert, meinen Pass haben sie mir abgenommen und nur mit Glück gelang mir die Flucht“. Mit Hilfe eines Therapeuten und eines katholischen Geistlichen kam sie wieder halbwegs in ein normales Leben zurück. „Die schrecklichen Bilder lassen mich aber nie ganz los“. Mit ihrer Familie, fanatischen Palmarianern, hat sie längst gebrochen. „Meine Eltern erklärten, sie hätten keine Tochter mehr“.

Bei den Weltanschauungsbeauftragten, vor allem in Deutschland und der Schweiz, gibt es nur selten Anfragen nach den Vorgängen innerhalb der Sekte. Die Palmar-Familien leben völlig zurück gezogen und fallen in der Öffentlichkeit kaum auf. Auch ehemalige Palmarianer, die als Kinder in Palmar-Familien hinein geboren wurden, wollen über ihre Erlebnisse am liebsten den Mantel des Schweigens legen. „Ich bin einfach nur froh“, sagt ein junger Mann aus dem Allgäu, „dass ich diesen Wahnsinn hinter mir habe. Aber darüber reden kann und will ich nicht mehr“.

Nachtrag: Nach dem Tod von „Papa Clemente“ (Gregor XVII.) trat sein Nachfolger Manuel Corral (genannt „Kardinal Isodor Maria“) an die Spitze der Gemeinschaft und nannte sich fortan Petrus II. Er starb im Juli 2011. Sein Nachfolger wurde der Anwalt Sergio Maria, alias Gregor XVIII.