Hosianna und Halleluja am Bodensee

Während in der evangelischen Kirche an der Konstanzer Laube einige wenige ihre Knie beugen, platzt das gegenüberliegende Kulturzentrum K9 fast aus allen Nähten. Jeden Sonntag bittet die „Lakeside Church“ zum Gottesdienst der etwas anderen Art.

Schon im Vorraum herrscht dampfende Enge, die Leute begrüßen sich herzlich, Küßchen hier, Küßchen dort. Vordergründig eine freundliche und warme Atmosphäre, nicht zu vergleichen mit der unpersönlichen und fröstelnden Kühle gewöhnlicher Gebetstempel. Das Publikum setzt sich überwiegend aus jüngeren Leuten zusammen, Frauen sind in der Mehrzahl.
Um 11.30 Uhr strömen alle in den K9-Veranstaltungssaal. „Gleich beginnt unser Gottesdienst, auf den wir uns schon die ganze Woche über gefreut haben“, verrät ein junger Mann, der nach eigenen Angaben seit rund einem Jahr Mitglied bei der „Lakeside Church“ ist.

„Willkommen zu Hause“

So steht es auf Postkarten, die der für die freikirchliche Gemeinde zuständige Pastor Freimut Haverkamp verteilen läßt. „Sei dabei – Eine Gemeinde, ein Zuhause, eine Familie“. Glückliche Gesichter überall, der Saal ist rappelvoll. Dann geht es los. Zu soft- rockigen Klängen einer Live-Band werden über einen Videobeamer die Gesangstexte an die Wand geworfen. „Du bist alles, was ich will, das eine ist gewiss, du bist mein Gott, du bist alles, was ich brauche“. Keiner hält sich hier zurück, die Gemeinde singt, rockt und groovt. Viele halten dabei die Hände nach oben geöffnet, machen einen entrückten und euphorisierten Eindruck.

Nach etwa vierzig Minuten verhallen die letzten Klänge und Pastor Freimut Haverkamp betritt die Bühne. Der etwa 30-jährige trägt eine Jeans und darüber ein lockeres Hemd. Von Anfang an hat er seine Gemeinde im Griff. Eine kurze Begrüßung ans wartende Volk und dann gleich der erste Einpeitscher: „Glaubt ihr, dass Gott alles für euch ist?“ – „Jaaaaaaaaa“ kommt es zurück aus über hundertfünfzig Kehlen.
Haverkamp, eine Art spiritueller Oliver Pocher, gefällt sich in der Rolle des eitel moderierenden Seelenmotors: „Mensch, geil, dass wir heute wieder so viele sind“. Die Brüder und Schwestern bestärken ihn durch inniges Gemurmel: „Oh yea“ oder „allright“.
Bei leiser Musik beten nun alle, nur immer wieder unterbrochen von ihrem geistigen Leiter: „Halleluja, Hosianna, Ameeeen“. Dann betätigt sich Haverkamp wieder als Alleinunterhalter, nette Alltagsgeschichten stehen im Vordergrund und bei jeder noch so drögen Schmonzette bricht der Saal in dankbares Gelächter aus.
Nach weiteren, meist etwas lauen Späßchen, etlichen Lobpreisungen und einer Predigt zum Thema Dienen werden die Gläubigen noch darauf hingewiesen, dass es nun an der Zeit sei, für Gottes Reich auf Erden zu spenden. „Nein“, sagt Haverkamp smart, „das ist keine Pflicht, kein Muß, ihr gebt freiwillig den Zehnten. Aber ihr wißt ja“ – und dabei lacht er, obwohl es bei diesem Satz eigentlich gar nichts zu lachen gibt – „unser allmächtiger Gott sieht alles, Ameeeen“. Wieder erklingt Musik und Gesang übertönt das Geraschel der Geldscheine: „Jesus, du bist unsere Nummer eins…“.

„Gott sagt uns, was wir tun und denken sollen“

Vor der Türe zum K9 sitzen Esther ( 23) und Annegret (28). Esther studiert in Konstanz, Annegret ist aus Sachsen und zu Besuch am Bodensee. Beide haben den Amtskirchen längst den Rücken gekehrt: „Da hocken doch nur noch 80-jährige rum“. Bei der Lakeside Church fühlen sie sich wohl. „Ich wollte Gott dienen und das geht hier“, sagt Esther. Annegret gefällt vor allem „die fetzige Musik, das zwanglose Miteinander, die vielen neuen Freunde in der Church“. Hier, so sagen die zwei, hätten sie endlich den Weg zu Gott gefunden. „Wir sind leben in der Zeit,die Church ist unsere neue Familie, wir machen alles aus Liebe zu Jesus. Er führt uns auf unserem Weg und sagt uns, was wir tun und denken sollen?“. Sex vor der Ehe ist verpönt, erklären die beiden Frauen noch. Früher hätten sie in Sünde und gottlos gelebt, damit sei nun Schluß. Ein für alle mal.

Die Gemeinde wächst und missioniert

Die Lakeside Church ist eine freikirchliche Gemeinde, die sich streng und rigoros an die Bibel hält.
Gemeinschaften dieser Art schießen seit einigen Jahren auch hierzulande wie Pilze aus dem Boden. Vor allem junge Leute fühlen sich von den vordergründig lockeren Gottesdiensten angezogen. Organisiert sind sie meist im „Bund freikirchlicher Pfingstgemeinden“. In Deutschland gibt es mittlerweile über 600 BFP-Gemeinden, dazu rund 40 000 gläubig getaufte Mitglieder und etwa 70 000 Sympathisanten. Tendenz steigend.

Im K9 treffen sich Gemeindemitglieder aus dem gesamten Landkreis Konstanz, aber auch aus Oberschwaben und der benachbarten Schweiz. Vor rund drei Jahren bestand die Gruppe aus gerade mal fünf Aktivisten, jetzt sind es weit über 200. Auch Kindergottesdienste werden in Konstanz abgehalten und in Kürze will man an Schulen und in Altersheimen missionieren.
Kritiker dieser Bewegung bemängeln vor allem die totale Hingabe an fundamentalistische Glaubensinhalte, deren Hinterfragung nicht erlaubt sei. Zudem herrsche in einigen Gemeinden ein strenges und totalitäres Regiment. Autoritäre Führungsfiguren übten totale Kontrolle über ihre Mitglieder aus.

Hans-Jörg Hemminger, Weltanschauungsbeauftragter der evangelischen Landeskirche, sieht die Bewegung kritisch: „Die Theologie ist eindeutig protestantisch, aber knallhart fundamentalistisch“. Speziell für Jugendliche könne sich „die übermäßige Vereinfachung der Weltsicht gefährlich auswirken und zu einem Realitätsverlust führen“. Dann, so Hemminger weiter, „ wird es sehr schwer, mit den Anforderungen des normalen Alltags halbwegs vernünftig umzugehen“.