NS-Ausstellung im Rosgartenmuseum: Gegen das Vergessen

Bei der Eröffnung der Ausstellung, die seit 24.6. im Konstanzer Rosgartenmuseum zu sehen ist, wurde ein Film gezeigt, der erste Dokumentarfilm zu Konstanz im Nationalsozialismus überhaupt. Der Konstanzer Gastronom Anselm Venedey hat zum Thema eine bemerkenswerte Rede gehalten.

(….) liebe Konstanzerinnen und Konstanzer,

Nicht verhehlen kann ich meine Enttäuschung darüber, dass die Verwaltungsspitze der Stadt Konstanz heute Abend durch Abwesenheit glänzt. (Deutliche Buhrufe im Saal, da keiner der drei Bürgermeister – Burchardt, Osner und Langensteiner-Schönborn – anwesend war. Anm.d.Red.).

Ich darf Sie heute Abend sehr herzlich zur Vorführung des Dokumentarfilms begrüßen, der Teil der neuen Dauerausstellung sein wird, die die Jahre 1933 bis 1945 in unserer Stadt beleuchtet und welche im Rosgartenmuseum zu sehen ist.

Ich entstamme einer Familie, deren demokratische Wurzeln bis in die Zeit der französischen Revolution zurückreichen. Ich bin darauf nicht stolz, aber ich empfinde es als ungeheures Privileg, in einem generationenübergreifenden Geist des Liberalismus und der Aufklärung erzogen worden zu sein. Das war nicht allen unseren Landsleuten zu jeder Zeit vergönnt. Das müssen wir bei aller Schuldzuweisung, die gerade im Hinblick auf die verhängnisvollsten 12 Jahre der deutschen Geschichte wichtig ist, immer im Hinterkopf behalten.

Mein Vater Hermann, der 1904 geboren wurde, schwor als Beamter einen Eid auf die demokratische Weimarer Verfassung. Folgerichtig weigerte er sich am 13. März 1933, das Susogymnasium zu betreten, wo er zu dieser Zeit als Lehrer unterrichtete, nachdem dort verfassungswidrig zuerst die schwarz-weiß-rote und dann die Hakenkreuzfahne gehisst worden waren.

Er wurde daraufhin denunziert, suspendiert, seine Wohnung und die seiner Eltern wurden durchsucht und verwüstet. Ein Artikel am 18. März 1933 in der hiesigen „Bodensee Rundschau“ übergoss meinen Vater mit dem Hass der neuen Machthaber. Niemand war mehr bereit, den Familienvater auch nur als Hilfsarbeiter anzustellen. Wenige Wochen später blieb meinem 29jährigen Vater mit seiner Familie und seinem Bruder Hans im Juni 1933 nichts anderes übrig, als die Grenze zur Schweiz im Konstanzer Tägermoos zu überqueren, um ihrer unmittelbaren Verhaftung und Verbringung ins Konzentrationslager Heuberg zu entgehen.

Es folgten12 Jahre als Refugianten in der Schweiz und Frankreich, ehe die Brüder 1945 in ihre alte Heimat zurückkehren konnten. Mein Vater ging zurück in den Schuldienst. Doch er blieb ein Außenseiter im Deutschland der Nachkriegszeit. Bis in die 60er Jahre wurde er vom BND (Bundesnachrichtendienst, Anm.d.Red.) bespitzelt. Immer wieder wurde er in anonymen Briefen aufgefordert, Deutschland zu verlassen. Er wurde als Vaterlandsverräter und Salonbolschewist beschimpft.

Deutschland wurde 1945 eben nicht von einem Tag zum nächsten wieder eine lupenreine Demokratie. Vorbehalte überdauern Generationen. Sie treffen teils noch die Nachgeborenen.

Erst Ende der 60er Jahre begann sich auch hier in unserer Stadt langsam der Nebel zu lichten. Aber verantwortlich dafür waren nicht die Konstanzerinnen und Konstanzer selbst, sondern die Aufklärung kam von der neu gegründeten Universität hinab in unsere Stadt. Und der Wind der Aufarbeitung und Aufklärung kam dank damals junger Hochschullehrer wie Professor Burchardt und anderer engagierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Auch das historische Museum unserer Stadt, das Rosgartenmuseum, begann erst recht spät damit, sich der jüngeren Geschichte anzunehmen: 2002 wurde – schon unter der damals noch ehrenamtlichen Mitarbeit des heutigen Museumschefs – die Ausstellung „Mager & Knapp. Alltagswelten in der Grenzstadt Konstanz 1920 bis 1960“ gezeigt, die auf ein großes Medienecho stieß.

Zum 70. Jahrestag des Kriegsbeginns 1939 zeigte das Museum 2009 die Ausstellung „Sommer ‘39“, die aus Nachlassstücken von Konstanzer Familien zusammengestellt worden war: 23.000 Besucherinnen und Besucher machten diese Dokumentation schon im ersten Jahr zu einem großen Erfolg. Die Ausstellung führte allen, die sie besuchten, vor Augen, dass die Geschichte Deutschlands eben nicht 1933 endete und dann 45 wieder im demokratischen Geist fortgesetzt wurde. Nein, es gibt eine Kontinuität, die nur langsam aufgebrochen wurde und wird und derer wir uns immer wieder bewusst sein müssen. Mein Vater und seine Brüder hatten das so genannte Dritte Reich überlebt. Was mag jedoch in den Seelen derer vorgehen, die ihre Eltern, Geschwister, Verwandte, Freunde in den deutschen Gaskammern oder an den Galgen der deutschen Justiz der Nazizeit verloren haben? Wie schwer muss es für diese Kinder und Kindeskinder sein, unbefangen in dieser Stadtgesellschaft, in diesem Land zu leben?

Wir müssen wachsam und vorsichtig bleiben. Nur diese Vorsicht – und da bin ich mir ganz sicher – hält bei uns die rechten Brandstifter noch halbwegs im Zaum. Aber wenn wir das Andenken an die Zeit von 1933 bis 1945 verlieren, dann verlieren wir auch diese Vorsicht, diese Angst vor dem, was sich die Menschenfänger in allen Ländern, und leider auch in unserem Land, wünschen: nämlich Macht, die nicht demokratisch legitimiert zu sein braucht, eine willfährige Justiz, gleichgeschaltete Presse, unkritische Kunst und Kultur.

Zu was das führen kann, haben wir doch hier selbst in Konstanz gesehen und sehen wir derzeit in der Ukraine, im Umgang der Chinesen mit den Uiguren und anderen Minderheiten. Aber nicht nur in autokratischen Systemen sind diese Kräfte virulent. In den USA versuchte ein abgewählter Präsident, demokratische Wahlen zu untergraben, ins Lächerliche zu ziehen und rief seine Anhänger zum Staatsstreich auf, ohne dass sich die Mehrzahl seiner Parteimitglieder zu distanzieren wagte. Der Front National betreibt in Frankreich erfolgreich rassistische Politik und ich erspare uns die Aufzählung der besorgniserregenden politischen Veränderungen in Lateinamerika, Afrika, Teilen Asiens aber auch in Europa wie Ungarn, Polen und selbst in Großbritannien mit einem selbstverliebten Premierminister, für den die Wahrheit Knetmasse zu sein scheint.

Nein, die Zeit zwischen 1933 und 1945, die dunkelste Zeit unseres Landes, darf nicht vergessen werden, denn ihre Kenntnis ist der Schlüssel zum Kampf gegen antidemokratische, rassistische und frauenfeindliche Tendenzen. Deshalb brauchen wir einen Ort der Erinnerung – auch an die schlimmsten Zeiten und deren Opfer. Aber auch an die Frauen und Männer, die sich der Ungerechtigkeit damals widersetzt haben, soll und muss hier erinnert werden. Und wo, wenn nicht in unserem städtischen Museum soll denn dieser Ort sein?

Dabei denke ich, dass es für die Museumsmacher doch viel einfacher gewesen wäre, diese Zeit auszusparen oder einfach mit ein oder zwei kleinen Vitrinen zu beleuchten.

Aber Tobias Engelsing und sein Team sind sich der Verantwortung bewusst, die nicht nur sie tragen, sondern die ganze Stadtgesellschaft trägt. Und so gehen sie ein Wagnis ein, indem sie dieses Thema, das, obwohl nur etwa 75 Jahre vergangen sind, doch so fern zu liegen scheint, genauestens unter die Lupe nehmen. Sogar ein Film wurde gedreht, der nun gleich gezeigt wird, ein Film, der Schulen und anderen Bildungsträgern zur Verfügung gestellt werden wird- ein Film wider das Vergessen.

Mit großer Einmütigkeit hat sich die Gesellschaft der Freunde des Rosgartenmuseums zur Unterstützung dieses Vorhabens entschlossen. Und nun sind wir sicher ebenso gespannt wie Sie alle hier im Saal, wie das Resultat dieser Arbeit aussieht.

Lieber Tobias Engelsing mit dem ganzen Team der Museen, ich danke Euch von ganzem Herzen im Namen der Museumsgesellschaft und auch ganz persönlich im Namen meiner Familie für diese wichtige Arbeit und wünsche der neuen Dauerausstellung mit dem Film viele nachdenkliche Besucherinnen und Besucher.

Und, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn auch Sie alle der Meinung sind, dass solche Vorhaben und solche Museen wie das unsere dringend Unterstützung brauchen, dann würden wir uns sehr freuen, Sie als Mitglieder in unserer „Gesellschaft der Freunde des Rosgartenmuseums“ begrüßen zu dürfen (…)

Mehr zum Thema auf: www.seemoz.de