zu „Im Namen des gesunden Volksempfindens“

Auch wenn es ihnen nicht ausdrücklich darum ging, „einen Greis (…) auf die Anklagebank zu zerren“: Genau dies war der Platz, auf den man sich Hermann Cuhorst nach dem Film des Konstanzer Journalisten Holger Reile und seines Kollegen Peter Ohlendorf wünschte. Cuhorst war in den Jahren nationalsozialistischer Diktatur Richter am Stuttgarter Sondergericht, einer Gerichtsbarkeit, deren Arbeit durch ein vereinfachtes Prozessverfahren und die fehlende Berufungsmöglichkeit gekennzeichnet war. Cuhorst führte in 1200 Fällen den Vorsitz; in etwa jedem zehnten Urteil verhängte er die Todesstrafe. Im Nürnberger Juristenprozess wurde ihm zwar 1947 verboten, seinen Beruf als Jurist weiterhin auszuüben, allerdings wurde er aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

Ohlendorf und Reile sprachen mit Kollegen und Opfern dieses furchtbaren Juristen; Ergebnis ihrer Gespräche und szenischen Rekonstruktionen: Das Porträt eines überzeugten Nazis, dessen Position ihm die Möglichkeit gab, seine Mordlust zu befriedigen. Die Zitate aus den Urteilsbegründungen verrieten seine zwanghafte Überzeugung, überall sei „kommunistische Zersetzung“ und „Hochverrat“ am Werk. Das Verdienst von Reile und Ohlendorf bestand aber vor allem darin, dass sich der Zorn des Zuschauers nicht gegen die Person Cuhorsts richtete, sondern gegen die Institution des Sondergerichts. Denn so sehr sich ihre Recherchen auch auf Cuhorst konzentrierten: Stets machten sie deutlich, dass das schreckliche Wirken dieses Mannes kein „Betriebsunfall“, sondern die Regel war. (Südkurier 1990)