zu „Meine Ehre heißt Treue“: Ein Psychogramm des Täters

Im Frühjahr 1987 fand in Konstanz am Bodensee ein Mordprozess statt, von dem die Medien kaum Notiz nahmen. Der Rentner Alfred Müller hatte seine ehemalige Frau, deren neuen Ehemann und dessen 22jährigen Sohn erschossen. In der Verhandlung vor dem Konstanzer Landgericht wurde deutlich, daß der damals 61jährige »kaltblütig wie bei einem Kommandounternehmen« vorgegangen war und die Tatausführung an eine »Hinrichtung« erinnerte.

Der Konstanzer Journalist Holger Reile hat den mehrwöchigen Prozeß verfolgt und anschließend in der Berliner »taz« ein Psychogramm des Täters entworfen. Grimme-Preisträger und WDR-Autor Felix Kuballa interessierte sich für den Stoff. Reile und Kuballa begaben sich auf Spurensuche, wollten Hintergründe erfahren, Erklärungen finden für das Verhalten des Täters. Sie sprachen mit Freunden von Alfred Müller, mit seinem Sohn und seiner Schwägerin, mit Prozeßbeteiligten und Experten. Ergebnis: Die Beschreibung eines Mannes, der jahrzehntelang ein völlig unauffälliges, durchschnittliches Leben geführt hatte, aber maßgeblich geprägt ist von jener Zeit im Zweiten Weltkrieg, in der er als Einmann-Torpedofahrer aus der Masse herausragte und als Held gefeiert wurde.

Als 17jähriger wird der Hilfsarbeiter zur Waffen-SS geschickt, bei einer Eliteeinheit lernt er das Töten mit den bloßen Händen. Als einer der wenigen kehrt Alfred Müller von Himmelfahrtskommandos als Einmann-Torpedofahrer zurück und wird als Vorzeigesoldat auf Propagandaveranstaltungen geschickt. Nach dem Krieg baut sich der Waffennarr eine bürgerliche Karriere als Antiquitätenhändler auf. Er unterdrückt seine Familie, seine Frau ist für ihn Privatbesitz, seinem Sohn will er vorschreiben, was er zu wählen hat. »Langhaarige und Ausländer müssen weg«, sagt er immer wieder.

Sein Weltbild bricht zusam­men, als ihn seine Frau schließlich verläßt. »Freddy von der Waffen-SS« – so bezeichnet sich Müller gerne im Verwandtenkreis – dreht durch und reagiert mit brutaler Gewalt. Sein Lebensmotto war das der Waffen-SS: »Meine Ehre heißt Treue«. Der früher dekorierte Einzelkämpfer wähnt sich im Kampf um sein rechtmäßiges Eigentum. Er metzelt in einem Konstanzer Mietshaus drei Menschen nieder und verläßt anschließend in seinem Wagen ruhig und gelassen den Tatort. (Rundschau 1989)