Sie wollen (nicht) nur Frieden

Tausende zogen am Wochenende durch die Konstanzer Innenstadt. Die einen brachten ihre Kritik an den Corona-Maßnahmen vor, andere wiederum demonstrierten gegen die Corona-VerharmloserInnen. Eines war auch schon frühzeitig klar: Der angestrebte Weltrekord, nämlich eine Menschenkette um den Bodensee zustande zu bringen, initiiert vom Konstanzer Gerhard Mayr, ist krachend gescheitert und geriet zu einer rekordverdächtigen Blamage ersten Ranges. Eine persönliche Nachbetrachtung.

Samstag, 3.10.

Erst gegen Samstag Mittag füllt sich langsam das Geläuf um den Konstanzer Stadtgarten. Viele Corona-Gegner suchen verzweifelt ihre Sammelpunkte, an denen sie sich aufstellen sollen, um die angestrebte Kette zu bilden. Doch meist vergeblich, denn auch die eingesetzten Ordner sind restlos überfordert, da sie überwiegend mit den Örtlichkeiten nicht vertraut sind. Das Ganze erinnert an einen orientierungslosen Hühnerhaufen. Immer wieder ziehen auch Gegendemonstranten vom Konstanzer Hafen ausgehend Richtung Klein Venedig und wieder zurück. Die Stimmung ist geladen und Komplimente werden ausgetauscht: „Verpissst euch, ihr Linksnazis“. Auf Höhe der Hafenhallen grölen drei stämmige Stiernacken: „Wir merken uns eure Fressen, ihr seid bald dran“. Die Gegendemonstranten bleiben überwiegend ruhig und gelassen.

Etwa gegen 14 Uhr hat sich dann doch vom Hörnle her eine längere Kette bis hin zur Schweizer Grenze gebildet. Ein gemischtes Publikum, Deutschlandfahnen und Regenbogenflaggen schwenkend. Alte und Junge, händchenhaltend miteinander verbunden. Althippies bemühen ihre Gitarren, „We shall overcome“ wird vereinzelt geträllert. Mehrere Versuche, mit Corona-Gegnern ins Gespräch zu kommen, scheitern spätestens dann, wenn ich mich als Medienarbeiter oute. „Lügenpresse“ und ähnliche Freundlichkeiten sind da fast durchgängig zu hören. Ziemlich sicher sei ich doch von der Pharmaindustrie geschmiert und nichts anderes als ein „von der Regierung versklavter Untertan“. Schließlich kommt ein junger Mann mit seinem Sohn auf mich zu, „Kreuzdenker“ steht auf seinem Shirt. Ich solle mal wieder die Bibel zur Hand nehmen, denn dort könne ich die Wahrheit erfahren und demnächst würden sich sowieso alle Katastrophenszenarien erfüllen. Halleluja.

Die Hardcore-Szene finde ich im Stadtgarten. Dort haben sich rund 400 Menschen versammelt, meist Schulter an Schulter und ohne Mund-Nasen-Schutz. Krude Verschwörungstheorien der absurdesten Art werden verbreitet, wie man sie seit Monaten auch andernorts immer wieder hört. Die Sonne zeigt ihr freundlichstes Gesicht, es ist nun spätsommerlich warm. Ein finster dreinblickender Zeitgenosse zieht sein Querdenken-Shirt aus und präsentiert seine muskulösen Oberarme, auf die er sich SS-Runden hat eintätowieren lassen. Sein Umfeld stört das nicht. Plakate werden hochgehalten, auf die wirre Parolen gepinselt wurden, die auch bei den rechtsextremen QAnon-Anhängern zum Standardrepertoire gehören.

Unversehens gerate ich in eine Gruppe esoterischer Gesundbeter. Warum ich überhaupt eine Maske trage, werde ich freundlich von einer älteren Dame gefragt. Das solle ich doch lieber bleiben lassen, sie habe das was viel Besseres für mich und überreicht mir ein Fläschchen, angeblich versehen, so steht es auf dem Etikett, mit „Vitamintropfen für Gürteltiere“.

Sonntag, 4.10.

Am späten Vormittag befinden sich rund 2000 Menschen auf Klein Venedig. Moderator Gerhard Mayr kommt langsam in Fahrt: „Wir sind viele und wir werden immer mehr. Leider sind auch die Kirchen nicht hinter uns, aber wir wollen doch nur Frieden, lieben uns alle und dringen von unten nach oben“. Dem Mann scheint offensichtlich sein Restverstand verloren gegangen zu sein, indem er behauptet: „Wir sind Teil eines neuen Zeitalters und hier im Energiezentrum Konstanz machen wir den Anfang“. Applaus stachelt ihn an und er überschlägt sich fast, als er die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an den Virologen Christian Drosten als „schäbig“ und Quarantäne als „Versklavung“ und „Gefängnis“ bezeichnet.

Zum Thema Corona findet sich auf der Bühne eine „Expertenrunde“ aus Deutschland und der Schweiz ein, darunter einige Mediziner. Abenteuerliche Behauptungen werden ins dankbare Publikum geworfen. Eine „Schweigeminute für alle Kinder, die durch das Tragen von Masken gestorben sind“, sei angebracht. Applaus. Die verantwortlichen Politiker müssten umgehend „verhaftet“ und „zur Verantwortung gezogen“ werden. Noch mehr Applaus. Dann längere Hasstiraden in Richtung „der verfickten Medien“, die den „Corona-Betrug“ am Laufen hielten, denn die Pandemie sei schon „seit Mai vorbei“. Öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalten „gehören abgeschafft“, denn „die brauchen wir nicht mehr, wir müssen nun selbst das Heft in die Hand nehmen“. Wieder breite Zustimmung bei den ZuhörerInnen. Soweit die härtesten Aussagen von Menschen, die sich ein wissenschaftliches Mäntelchen übergeworfen haben.

Wie schon Tags zuvor versuche ich Menschen zu finden, mit denen ein halbwegs vernünftiger Diskurs auf Augenhöhe möglich ist. Weitestgehend Fehlanzeige. Wer sich hier als Journalist zu erkennen gibt, wird, von wenigen Ausnahmen abgesehen, sofort aggressiv angegangen, beschimpft und auch bedroht. Nachfragen bezüglich der Kooperation mit ausgewiesenen Nazis, wie nicht nur in Berlin geschehen, stoßen auf erschreckende Antworten. Parteien wie „AfD oder NPD sind ja nicht verboten, also gehören sie zu uns. Wir sind offen für alle, die sich gegen die derzeitige Knechtung unseres Volkes auflehnen“, sagt mir ein Familienvater, der mit Frau und Kind aus Köln angereist ist, und so gar nicht in das optische Klischee eines Rechtsradikalen passen will. Eine völlig aufgebrachte Besucherin kräht mir von der Seite entgegen: “Das hier in Konstanz wird eine der letzten Veranstaltungen in Deutschland sein, auf denen wir noch unsere Meinung sagen dürfen“. Warum das denn, will ich wissen. „Die wirklichen Nazis in Berlin planen doch schon Konzentrationslager für uns“. Fast entschuldigend mischt sich eine andere ein und kritisiert diese Aussage. Ein Sturm der Entrüstung: „Du bist hier wohl falsch“ bricht über sie herein.

Mein vorläufiges Fazit am Sonntag gegen 14 Uhr fällt ziemlich ernüchternd aus. Die allermeisten Corona-LeugnerInnen, die am Wochenende in Konstanz ihren Protest auslebten, sind für Argumente nicht mehr erreichbar. Distanzierung von Rechtsradikalen und Neonazis: Ebenso Fehlanzeige. Und das ist das eigentlich Gefährliche bei dieser brodelnden Gemengelage, denn davon profitieren diejenigen, denen es weder um Frieden noch um Demokratie geht.