Südkurier weiter unter Druck: Gemaßregelter Redakteur zieht Konsequenzen und geht

Mit ihrer Vorgehensweise in der Personalie Michael Lünstroth haben Chefredakteur Stefan Lutz und Lokalchef und Regionalleiter Jörg-Peter Rau dem Südkurier einen schweren Imageschaden zugefügt. Bundesweit wird seit Wochen über den Presseskandal am Bodensee und den massiven Glaubwürdigkeitsverlust der Tageszeitung vor Ort berichtet. Vor einigen Tagen zog auch der SWR nach und berichtete in der Landesschau über die Hintergründe, die dazu führten, dass Lünstroth mit einem Schreibverbot und einer Abmahnung belegt wurde. Nun hat der langjährige Lokalreporter seine Kündigung eingereicht.

Vor allem Stefan Lutz hat die Situation falsch eingeschätzt. Er ging davon aus, die Berichterstattung auf der Konstanzer Internetplattform www.seemoz.de über die Sanktionen gegen den Lokaljournalisten würde nur wenige Interessierte erreichen und könne somit getrost vernachlässigt werden. Doch das Gegenteil trat ein: Kontext aus Stuttgart übernahm das Thema, transportierte es weit über die baden-württembergischen Grenzen hinaus und viele andere schlossen sich an. Der allgemeine Presse-Tenor war und ist vernichtend. Der Südkurier, so die Einschätzung fast aller Medien, habe im eigenen Haus die Presse- und Meinungsfreiheit untergraben und sich somit unglaubwürdig gemacht. Der Südkurier hat bislang mit keinem Wort über die Affäre im eigenen Haus berichtet.

Das Schreibverbot für Michael Lünstroth wurde Mitte Juni aufgehoben, die Abmahnung aber nicht, die der Redakteur erhalten hat, weil er angeblich bei der Berichterstattung über das Scala-Kino seine „Sorgfaltspflicht“ verletzt haben soll. In kritischen Texten hatte Lünstroth der Konstanzer Rathausspitze vorgeworfen, sich zu wenig gegen die drohende Schließung des beliebten Kinos in der Konstanzer Innenstadt gewehrt zu haben. Aber auch dieser Vorwurf steht auf sehr wackligen Beinen, denn dem Vernehmen nach hat ein erfahrener Desktop-Redakteur den im Nachhinein beanstandeten Text gegengelesen und abgesegnet. Grund genug also, die offensichtlich zu Unrecht verhängte Abmahnung auf der Stelle zurückzunehmen, forderten immer mehr Südkurier-LeserInnen in Protestschreiben an die Chefredaktion. Im Raum steht noch die Behauptung, der Konstanzer CDU-Oberbürgermeister Uli Burchardt habe wegen Lünstroths Berichterstattung an oberster Stelle beim Südkurier interveniert. Eine Interviewanfrage des SWR lehnte Burchardt ab.

Auffällig ist, dass sich vor allem die politische Konstanzer Kaste, abgesehen von wenigen Ausnahmen, mit Kritik am Meinungsmacher Nummer Eins zurückgehalten hat. Dafür gibt es mehrere Gründe: Ein Großteil der politisch Agierenden bezieht seine kommunalpolitischen Informationen fast ausschließlich über den Südkurier, und da dieser seinen hausgemachten Presseskandal bislang mit keinem Wort erwähnt hat, ist er zu vielen Südkurier-LeserInnen auch noch nicht durchgedrungen. Andere, darunter vorrangig GemeinderätInnen, die sehr wohl Bescheid wissen, hüllen sich lieber in Schweigen. Sie sind meist zufrieden, wenn sie bei ihrer Frühstückslektüre ab und zu ihren Namen in der Zeitung lesen oder sogar mit einem mageren Sätzchen zitiert werden. Mehrere geben das auf Anfrage unter dem Siegel der absoluten Verschwiegenheit auch ganz offen zu. „Die Geschichte mit dem Lünstroth ist zwar eine Schweinerei, aber wir wollen und können es uns nicht völlig mit dem Südkurier verderben“.

Ähnlich verhält sich bislang auch der Südkurier-Betriebsrat. Vor knapp zwei Wochen hat die Gesamtbetriebsratsvorsitzende Birgit Orlowski auf Anfrage erklärt, dass man in Absprache mit der Geschäftsführung zum Fall Lünstroth „absolutes Stillschweigen“ vereinbart habe. Das gilt wohl weiterhin und somit werden nicht nur in Gewerkschaftskreisen unweigerlich die Fragen lauter: Wozu braucht man dann noch einen Betriebsrat und warum hat es von dessen Seite nicht wenigstens eine Solidaritätserklärung für den beliebten Kollegen gegeben?

Ende Juni gab es erneut eine Betriebsversammlung im Hause Südkurier. Michael Lünstroth hatte wohl insgeheim gehofft, die Chefredaktion würde nun auch die Abmahnung zurück nehmen. Doch Chefredakteur Stefan Lutz verteidigte offensichtlich seinen harten Kurs gegenüber dem langjährigen Redakteur. Die ganze Debatte, so berichten Beteiligte, sei laut Lutz „von außen“ gelenkt und gesteuert worden, um dem Medienhaus Südkurier Schaden zuzufügen. Daraufhin hat Lünstroth seinen Vertrag auf Ende September gekündigt und wird ab 1. Oktober Redaktionsleiter des eidgenössischen Kulturportals thurgaukultur.ch. Doch damit ist nach Ansicht vieler Beobachter das Thema längst nicht vom Tisch. Mehr denn je steht die Frage im Raum, wie es um politische und wirtschaftliche Abhängigkeiten im Lokaljournalismus bestellt ist.