Wachstumswahn am Bodensee

Vor allem das Thema Wohnen steht mit im Fokus täglicher Debatten. Wer kann sich in Konstanz überhaupt noch eine Wohnung leisten, geschweige denn ein Eigenheim? Was soll das Geplapper über eine Groß- oder Schwarmstadt? Die Grenzen des Wachstums sind deutlich sicht- und spürbar, auch wenn manche glauben, man könne sie einfach ignorieren. Doch das ist ein gewaltiger Irrtum, denn es geht eher darum, den Landkreis als Ganzes zu verstehen und in naher Zukunft auch dementsprechend zu entwickeln.

Kaum lagen die neuen Zahlen über die wachsende Bevölkerung der Stadt vor, griff Südkurier-Lokalchef Jörg-Peter Rau die vermeintliche Steilvorlage auf und titelte: „Wachstum in Konstanz: Die Stadt darf nicht länger das Ob diskutieren, sondern muss Wege für das Wie finden“. Anscheinend völlig euphorisiert von der fatalen Schlichtheit seiner Gedankenenge fabulierte Rau weiter: „Eine Debatte über angebliche Grenzen des Wachstums ist sinnlos. Konstanz sollte seine Kräfte darauf richten, eine lebenswerte Stadt für alle zu bleiben“. Ist sie das denn wirklich für alle, wie der Schreiber leichtfertig behauptet? Fast konnte man ob dieser Einschätzung den tosenden Beifall des hiesigen Einzelhandels und der Immobilienbranche vernehmen. Die Gesetze des Marktes sind für Rau außerdem in ganz harten Stein gemeißelt, denn klar ist für ihn auch, „dass sich die Stadt gegen ihre Entwicklung gar nicht stemmen kann“, außer man bekämpft „jede Veränderung mit religiösem Eifer“. Ehrlicherweise hätte er auch schreiben können: „Bürger, friss oder stirb, zu melden hast du eh nichts“.

Und der „kleine Diktator“, so die wenig schmeichelhafte Bezeichnung einiger Südkurier-KollegInnen, setzte wenige Tage später noch einen obendrauf, als die Umweltschutzverbände BUND und NABU das Handlungsprogramm Wohnen in einer gut begründeten Presseerklärung für „gescheitert“ erklärten und umfangreiche Nachbesserungen anmahnten. Da war für Rau klar, was er, der mediale Einpeitscher für ungezügelte Wachstumsphantasien, anscheinend schon immer vermutet hatte: Der BUND, erklärte er erbost, habe mit seiner Kritik einen „markanten Linksruck“ vollzogen. Wohl dem, dessen Weltbild so simpel gestrickt ist. Bedauerlicherweise ist nicht damit zu rechnen, dass der Verlag zumindest ab und an die journalistischen Qualitäten seines immer öfter außer Rand und Band geratenen kommunalpolitischen Leitartiklers auf den Prüfstand stellt.

Worin aber soll nun tatsächlich der Vorteil bestehen, wenn die „Schwarmstadt“ Konstanz weiter wuchert und, wie prognostiziert, in einigen Jahren tatsächlich den hunderttausendsten Einwohner zählt? Die Fläche ist begrenzt, sie setzt den Rahmen und mit ihr ist pfleglich umzugehen. Wer das nicht verstanden hat, der kommt eben auf absurde Gedanken, faselt von einer Seilbahn, um das Verkehrschaos in den Griff zu kriegen oder plädiert dafür, wertvolle Waldflächen zu roden und gegebenenfalls auch Naturschutzflächen platt zu machen. Reicht es nicht schon, wenn bis 2035 rund 8000 neue Wohnungen gebaut werden? Glaubt man wirklich, man könne auch noch den letzten Quadratmeter Boden einer renditeträchtigen Verwertung zuführen?

Anstatt diesen Irrweg weiter zu beschreiten, empfiehlt sich großräumiges Denken. Könnte heißen: Der Landkreis Konstanz bietet eigentlich alle Voraussetzungen, Konzepte zu erarbeiten, die ihn in seiner Gänze als Siedlungsraum lebenswert machen, vornehmlich im eher dünn besiedelten und strukturschwachen Hinterland. Das aber setzt voraus, dass die einzelnen Kommunen an einem Strang ziehen und ihre Partikularinteressen auf die hinteren Plätze verweist. Bleibt es weiterhin bei lokal-borniertem Konkurrenzgehabe: Wer hat die meisten dm-Märkte, die größten Konsumtempel, das interessanteste Kulturangebot, den attraktivsten Wohnraum mit teuer bezahlter Seesicht oder die höchste Kneipen- und Hoteldichte?– dann wird sich an der massiven Zusammenballung auf engsten Räumen nichts ändern. Zumindest mittelfristig geht es um Entzerrung, die aber hat nur dann eine Perspektive, wenn die dementsprechende Infrastruktur – flächendeckender und gut vertakteter Verkehrsverbund im gesamten Landkreis, Schaffung günstigen Wohnraums, Ausstattung mit Kindergärten und Schulen usw… – in Angriff genommen wird. Sicher eine in jeder Hinsicht gewaltige Aufgabe. Aber denkt man auch an die kommenden Generationen, führt daran kein Weg vorbei.