Demo gegen Rechts in Konstanz

Rund 15 000 Menschen demonstrierten kürzlich in Konstanz gegen die AfD, Rechtsradikalismus, Hetze, Hass und jene politischen Kreise, die davon zu profitieren versuchen. Bei der vielleicht größten Demonstration der Konstanzer Geschichte hielt David Tchakoura, Leiter der Stabsstelle Konstanz International, eine bewegende Rede, hier nachzulesen.

Mein Name ist David Tchakoura,

ich spreche zu Ihnen als Bürger dieses Landes.

Ich spreche zu Ihnen als jemand, der beruflich für den Zusammenhalt in dieser wunderschönen Stadt Konstanz arbeiten darf. Ich spreche zu Ihnen, als Vater von zwei Kindern, die hier geboren sind und die sich mit keinem anderen Land so gut identifizieren können wie mit Deutschland.

Ich spreche zu Ihnen als sogenannter Migrant bzw. Mensch mit Migrationshintergrund, und so spreche zu Euch, meine sehr geehrten Damen und Herren, auch als einer, den einige deportieren wollen. Wohin, wie und warum, das weiß ich nicht genau. Meine Kinder hätten sie auch mitdeportiert.

Ich sage Ihnen eines: Auch wenn ich diese Rede heute mit viel Emotion verfasst habe und gerade mit genau so vielen Emotionen halte, diese Deportationspläne haben mich keineswegs überrascht. Ich bin mir auch ganz sicher, dass diese Pläne bei Weitem nicht das Schlimmste sind, wozu nationalsozialistische Kräfte bereit wären. Wir müssen hier nur in die Geschichte zurückblicken.

Die Fragen, die mich kümmern und bekümmern, sind:
– Wie konnte es so weit kommen?
– Ist 1933 wieder möglich?

Meine Antwort ist: JA! Ja, wenn es so weiter geht mit der Förderung der Salonfähigkeit einer offensichtlich rassistischen Partei. Wie oft hat man nicht den Satz gehört: „Nicht jeder, der diese Partei wählt, ist ein Rassist.“ Dies mag sein, ändert aber nichts am rassistischen Charakter und Hintergrund der Partei selbst, und aus einer Affinität kann sehr schnell Radikalismus werden.

Lange wollte man die Augen vor der Wahrheit verschließen. Viel zu lange haben wir wie Vögel Strauße unsere Köpfe in den Sand gesteckt. Wie die berühmten drei Affen wollten wir nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.

Noch schlimmer, einige ahmten diese Partei nach, um selbst so erfolgreich zu sein wie sie.

Daraus resultierte als verheerendes Ergebnis die Banalisierung des rechtsextremistischen Gedankenguts in der breiten Bevölkerung. Nun stehen wir vor den Folgen: Die Planung der Deportation von Millionen von Menschen, allein aufgrund ihrer nahen oder fernen Herkunft.

David Tchakoura bei seiner Rede © hr

Im Jahr 2022 lebten 20,2 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Deutschland. Kriegt man wirklich so viele Menschen aus dem Land, ohne auf Gaskammern zurückzugreifen? Das glaube ich nicht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht nur Ausländer und sogenannte Menschen mit Migrationshintergrund wären Opfer dieser morbiden Pläne geworden:
– Die deutschen Ehegattinnen und Ehegatten aus kulturell gemischten Ehen wären bestraft worden, wegen der Schändung des deutschen Blutes und der Zeugung von Bastarden. Die Geschichte lehrt uns das, denken Sie nur an die sogenannten „Rheinland-Bastarde“, wenn Sie es genauer wissen wollen, lesen Sie mal über die „Schwarze Schmach“.
– Menschen mit guten Beziehungen zu Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund wären als Verräter denunziert und bestraft worden, das kennen wir aus der Geschichte.
– Andersdenkende, Menschen mit Behinderungen und Minderheiten wie Sinti und Roma wären wieder verfolgt worden.
– Idealtypische deutsche Männer und Frauen würden wieder in neue Lebensborn-Heime gebracht, um in diesen rassistischen Zuchtanstalten eine neue „arische Elite“ bzw. ein neues „richtiges“ deutsches Volk zu reproduzieren.
– Die Wirtschaft hätte keine Arbeitskräfte mehr, schon jetzt ist Deutschland auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen.

Sie sehen, nicht nur Ausländer, sondern die Gesamtgesellschaft wären von diesen rechtsextremistischen Plänen betroffen. Was wir heute hier machen, ist also keine Solidaritätskundgebung. Wir demonstrieren für uns alle, für ein freies Deutschland, für ein Leben in Würde, für ein Leben ohne Angst, für Zusammenhalt und Demokratie.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Kundgebung ist sehr wichtig. Sie schickt nach außen in Richtung obskurantistischer Kräfte ein nicht überhörbares und nicht übersehbares Signal, dass Konstanz kein Platz für sie ist. Ich bin stolz, wenn ich sehe, wie viele Menschen hier versammelt sind und wie heterogen wir sind.

So schön und wichtig diese Kundgebung und Kundgebungen im Allgemeinen sein mögen, das muss ich leider hinzufügen, werden sie allein nicht reichen, um die nationalsozialistische Gefahr ein für alle Mal zu beseitigen. Wir müssen es schaffen, dass es sich nicht lohnt, ein Nazi zu sein, dass die Kosten für Rechtsextremisten höher sind als der Ertrag – wir müssen diese Kreise isolieren.

Wie schaffen wir das?

Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Es fängt an mit der entschlossenen Bekämpfung von Alltagsrassismen (z.B. Racial Profiling) und allen Formen von Diskriminierungen, z.B. auf dem Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche.

Gestatten Sie mir bitte einen kurzen Exkurs: Ich habe kürzlich mit einem Bekannten mit Migrationsgeschichte über die jüngst enthüllten AfD-Pläne gesprochen. Wie mich hatten sie auch ihn nicht überrascht. Es seien immerhin nur „Pläne“. Was ihn akut beschäftigt, seien seine Diskriminierungserfahrungen im Alltag. Bis die neuen AfD-Pläne umgesetzt sind, ist er wieder für die Rente in seinem Herkunftsland. Zur Frage, warum er hier nicht bis an sein Lebensende bleiben würde, sagte er: Altersheim hier kommt für mich gar nicht in Frage. Wenn ich jung und gesund diskriminiert werde, wie soll es dann werden, wenn ich alt und schwach bin und in die Hose mache? Eine Nacht werde ich einfach ein Kissen auf die Nase gedrückt bekommen. Diese Ängste muss man ernst nehmen, auch wenn sie relativiert werden können.

Die entschlossene Bekämpfung von Alltagsrassismen (z.B. Racial Profiling) und aller Formen von Diskriminierungen sind sehr wichtig. Jede solche Tat ist eine latente Unterstützung für Rechtsextremisten.

Ferner ist es ganz wichtig, durch konkrete Fakten zu beweisen, dass Vielfalt in diesem Land ganz normal ist. Die wiederholte Behauptung, Deutschland sei ein Einwanderungsland, bleibt ein hohles Statement, wenn solide Fakten dafür in der Öffentlichkeit fehlen.

Was meine ich mit soliden Fakten?

Damit meine ich mehr Sichtbarkeit der knappen 20 Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte, mehr Sichtbarkeit in allen beruflichen Bereichen und auf allen Verantwortungsebenen:
– In der Politik auf Kommunal-, Landkreis-, Landes- und Bundesebene,
– in Landesregierungen und in der Bundesregierung,
– in Verwaltungen, Polizei, Gerichten usw.

Es darf nicht sein, dass diese Repräsentanz uns hauptsächlich auf Baustellen, in Pflegeberufen und in Restaurants gelingt. Sie muss und kann uns in mehr Bereichen gelingen!

Wir müssen, meine sehr geehrten Damen und Herren, wegkommen von der Betrachtung der Chancengleichheit als Großzügigkeit und hinkommen zur Verinnerlichung der Chancengleichheit und der Gleichberechtigung als Selbstverständlichkeit, denn wir sind alle Deutschland!

Lassen Sie uns das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken. Wo Vielfalt gelebt wird und eine Selbstverständlichkeit ist, das ist meine feste Überzeugung, wird die Instrumentalisierung des Fremdseins schwierig.

Also: Mehr denn je müssen solche Vielfalt selbstverständlich machenden Fakten geschaffen werden – und nicht das Gegenteil.

Wir müssen uns stärker als Kollektiv betrachten und nicht immer dichotomisch zwischen Einheimischen und Fremden unterscheiden, denn selbst gut integrierte Personen bleiben Fremde mit dieser dichotomischen Betrachtungsweise, und dies fördert den Zusammenhalt nicht.

Vor diesem Hintergrund haben wir als Stadt Konstanz 2020 das ehemalige Integrationsbüro zur „Stabsstelle Konstanz International“ weiterentwickelt und als Fachstrategie zur Förderung des Zusammenlebens in unserer Stadt statt eines sogenannten „Integrationskonzepts“ das Konzept „Konstanz Internationale Stadt“ entwickelt. Wir stellen uns mit diesem Ansatz nicht mehr die Frage, wie wir wen in was integrieren wollen, sondern wie wir als internationale und kulturell vielfältige Stadt unsere Vielfalt gestalten können, damit es allen gut geht und das Zusammenleben gut funktioniert. Das ist der richtige und nachhaltige Ansatz.

Wir freuen uns, dass der gesamte Gemeinderat und die Stadtspitze das Konzept mittragen und dass der Zusammenhalt ein Eckpfeiler des Handlungskompasses des Sozialdezernats von Bürgermeister Andreas Osner ist.

Meine Damen und Herren, mit einer kurzen Erzählung möchte ich meine Rede beenden. Einmal hat mich jemand gefragt, ob es für mich in meiner Position als Führungskraft angebracht ist, Deutschland in Sachen gleichberechtigter Teilhabe zu kritisieren. Ich habe gesagt, gerade deswegen! Es geht ja nicht nur um mich. Die Kritik bedeutet außerdem nicht, dass alles in diesem Land falsch ist. Ganz im Gegenteil. Es geht darum, Verbesserungen zu erzielen und den Zusammenhalt zu stärken und zukunftssicher zu machen. Deutschland kann es besser. Das Land hat mir persönlich viel ermöglicht. Ich habe insgesamt drei Stipendien von deutschen Institutionen bekommen, ohne die ich garantiert kein Hochschulstudium, geschweige denn eine Promotion hätte abschließen können. Ich bin dem Land verbunden und sehe es als meine Pflicht an, mitzuhelfen, es zu verbessern.

Togo ist mein Land durch meine Geburt, aber Deutschland habe ich mir selbst und freiwillig ausgesucht. Wir sind Millionen von Menschen, die Deutschland so im Herzen tragen. Teilweise kennen wir sogar mehr von diesem Land, kennen seine Kultur, seine Literatur und seine Geschichte besser als diejenigen, die uns deportieren möchten.

Das darf nicht passieren!

Danke, Konstanz für den Zusammenhalt! Gemeinsam werden wir gegen die Extremisten gewinnen!

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