„Jazzig und einfach geil“

Soll und darf man auch weiterhin während der Fasnacht die Lieder des NS-Propagandaredners und bekennenden Nationalsozialisten Willi Hermann, der wahrscheinlich auch in Kriegsverbrechen verstrickt war, singen? Sogar eine Petition kursiert mittlerweile im Internet. Man müsse, heißt es da, die Person Hermann und seine Lieder getrennt betrachten. Der bekannte Konstanzer Fasnachter Norbert Heizmann ist da völlig anderer Meinung.

Seit Monaten wird darüber debattiert, ob die Fasnachtslieder von Willi Hermann weiter in der närrischen Zeit gesungen werden sollen. Angestoßen hatte das Thema der „Südkurier“ und sich dabei auf Recherchen berufen, die Stadtarchivar Jürgen Klöckler zusammengetragen hatte. Das Ergebnis lässt sich nicht wegdiskutieren: Willi Hermann war ein überzeugter Nationalsozialist, NS-Propagandist und Antisemit der übelsten Sorte und keineswegs nur ein „aktives Rädchen“ während der NS-Zeit, wie Marc Ellegast in seiner Petitionsbegründung verharmlosend schreibt. Die Petition haben bislang rund 530 Personen unterschrieben. Überwiegend wird die Meinung vertreten, dass die Lieder ein Teil der fasnächtlichen Kultur seien und bewahrt werden müssten.

Wer sich die Mühe macht und die einzelnen Begründungen für den Beibehalt der Hermann’schen Schenkelklopfer: „Mädle wenn vu Konstanz bisch…“ liest, erfährt einiges über den geistigen Zustand nicht aller, aber doch mancher Kulturbewahrer. „Es sollte endlich mal gut sein mit dem Nazi-Scheiß“, schreibt einer. Mit an vorderster Front auch Marcus Nabholz, Präsident der Narrengesellschaft Kamelia Paradies und CDU-Hinterbänkler im Konstanzer Gemeinderat. Er merkt an, wenn Opern des bekennenden Antisemiten Wagner aufgeführt werden, dann könne man auch Hermann-Lieder fröhlich weiterträllern. Die Vergangenheit Hermanns, so ein anderer, sei „völlig egal“. Oder: „Bei der Bundeswehr werden heute Lieder gesungen, welche auch im II. Weltkrieg Verwendung fanden. Weiter so!“

Mit der journalistisch einwandfreien Berichterstattung des „Südkurier“ zum Fall Hermann sind manche nicht einverstanden und so bezeichnet ein anonymer Petent die Medien als „Propaganda-Organ der amtierenden Politik“, die nichts anderes seien als „Marionetten der internationalen Finanzeliten (Soros, Rothschild usw.) Deshalb: Weitersingen“. Auch der bekannte Musiker Jürgen Waidele äußert sich: „Alleine schon die erste Strophe: Rings um den Bodensee ist die Welt so schön … Text, Melodie und die Harmonien, die man dazu spielen kann – jazzig und einfach geil.“

Immer klarer zeigt sich, dass bei der Causa Hermann auch ein tiefer Riss durch die Narrengesellschaften geht: Traditionalisten contra Erneuerer. Für letztere steht mit Norbert Heizmann, der auch Programmchef der Konstanzer Narrengesellschaft Niederburg e.V. ist, einer der bekanntesten Fasnachter im Kreis Konstanz und weit darüber hinaus. Eine Einschätzung zum Thema fällt deutlich aus. Heizmann schreibt:

„Für mich persönlich steht fest, dass diese Lieder für immer mit einem Makel behaftet sein werden, egal, welche Ergebnisse die Debatte zeigen wird. Da sich die Fasnacht seit jeher den Erhalt und die Pflege des Brauchtums zu einer ihrer Kernaufgaben gemacht hat, stand sie früher schon des Öfteren im Verdacht, in einer gewissen Nähe zu Blut-und-Boden-Gedankengut zu stehen und da dieser Verdacht in der Nachkriegszeit nicht immer völlig unbegründet war, stehen gerade wir in der Verantwortung, an dieser Stelle Farbe zu bekennen und uns ein für allemal von einer solchen Geisteshaltung, und sei sie nur am Rande spürbar, offensiv und eindeutig zu distanzieren und zu befreien. Auch wenn es für den einen oder anderen Niederbürgler schwer zu verdauen sein wird: Im Grunde genommen war es, auch unabhängig von den neuesten Entwicklungen, schon längst an der Zeit, dass sich die Niederburg und insgesamt die Konstanzer Fasnacht eine neue musikalische Identität aneignet, weg vom post-nazistischen Nachkriegsmuff der 50er Jahre. Um noch einmal mit Willi Hermann zu sprechen: „Ein Narr vom alten Schlag lebt lustig alle Zeit.“ Nein, ein Narr von diesem alten Schlag will ich nicht sein.“

 

 

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