Späte Annäherung an einen Kollegen

Anfang Juni ist der Journalist Dieter Seewald im Alter von 80 Jahren gestorben. Über Jahrzehnte hinweg war der gebürtige Konstanzer ein bekanntes Gesicht der Stadt und ebenso lange schrieb er für den Südkurier. Ein kleiner und persönlicher Rückblick auf eine kurze, aber durchaus intensive Begegnung, die jäh endete.

Lange Zeit liefen wir aneinander vorbei. Begegneten uns zufällig bei Veranstaltungen oder Pressekonferenzen. Ein kurzes Nicken, mehr nicht. Natürlich war mir Dieter Seewald ein Begriff, galt er doch während seiner Zeit beim Südkurier als einer der wenigen linksliberalen Redakteure. Eine im hiesigen Verlagshaus mittlerweile fast ausgestorbene Spezies. Die wenigen übrig gebliebenen Einzelexemplare stehen unter Artenschutz. Aber ein direkter Kontakt mit Dieter Seewald kam nie zustande.

Das änderte sich erst im vergangenen Jahr. Im Cafe Wessenberg saß er mir beim Kaffee gegenüber und las, wie immer, die Frankfurter Rundschau, die ihm sehr viel lieber war als die seines früheren Arbeitgebers. Plötzlich ließ er abrupt die Zeitung sinken und sprach mich an. Ich sei doch in der Kommunalpolitik aktiv, außerdem habe er kürzlich das Internetportal seemoz entdeckt, das ja auch mit meinem Namen verbunden sei. Das alles fände er höchst spannend, da würde er sich gerne einmischen. So kamen wir ins Gespräch und diskutierten fortan bei unseren wöchentlichen Treffen auch darüber, was wohl aus der Stadt werde, die ihm so am Herzen lag und deren Puls er zu fühlen glaubte, wohin sie sich entwickle und wie das alles einzuschätzen sei. Ein lebendiger, meist interessanter Austausch mit einem Menschen, der sich zunehmend öffnete und erstaunlich gut informiert war.

In der Folgezeit schrieb Dieter Seewald mehrere Texte für seemoz. In einem liebenswerten Rückblick erinnerte er sich an seine Jugend während der Konstanzer Nachkriegsjahre. Darüber wusste er viele Geschichten zu erzählen. Eine gewisse Altersmelancholie schimmerte da bisweilen durch, aber nie eine der spießig-muffigen Art, die ja oft in der irrigen Meinung gipfelt, dass früher fast alles besser gewesen sei. Davon war Dieter Seewald ganz weit entfernt, das war seine Sache nicht.

Im Oktober 2016 verfasste er ein Testimonial für seemoz, in dem er schrieb: „Ich lese seemoz, weil es nicht dem Zeitgeist hinterher rennt. Bei dem unvergessenen Dr. Hermann Venedey (Seewald war einer seiner Schüler, Anm.d.Red.) habe ich gelernt, kritisch zu hinterfragen. Mir ist immer noch das Aufsatzthema in Erinnerung, das der „Chef“ uns stellte: „Eine Kultur geht unter, wenn sich die Macht vom Recht entfernt und das Wissen von Bildung“. seemoz hat die vermeintlich „Mächtigen“ kritisch im Blick und hinterfragt, was nur allzu oft als gottgegeben hingenommen wird. Reines Wissen ist eine Schimäre, wenn die geistigen Fundamente fehlen.“

Es muss Anfang April gewesen sein, als ich Dieter Seewald das letzte Mal gesehen habe. Bis dahin hatten wir uns respektvoll gesiezt. An diesem Tag reichte er mir unvermittelt die Hand und sagte: „Ich bin übrigens der Dieter“. Wir plauderten wie gewöhnlich über das politische Geläuf und tauschten Pläne aus, sprachen über Themen, die journalistisch zu beleuchten seien. Er habe da einige Ideen, ließ Dieter mich wissen. Wir vereinbarten uns lose für die kommende Woche. Doch dazu kam es nicht mehr. Unsere späte Begegnung erfuhr leider keine Fortsetzung.