Tanz der Vampire im Konzil

Knapp 400 Gäste ließen sich Mitte April bei einer Veranstaltung des Konstanzer Stadtmarketings vom geladenen Referenten und „Top-Speaker“ Jörg Löhr erklären, was heutzutage unter einer erfolgreichen Unternehmensführung zu verstehen sei, was man tun müsse, um eine anerkannte Führungspersönlichkeit zu werden und wie man antriebslose und demotivierte Untergebene wieder in die Spur bringen könne.

Ein großer Teil der Konstanzer Verwaltungsspitze war anwesend und man darf vermuten, dass Oberbürgermeister Uli Burchardt, dem der Körperkontakt zu Unternehmern und Wirtschaftsverbänden enorm wichtig ist, die Veranstaltung vorneweg zu einer Art Pflichttermin erhoben hat. Denn wer schlurft schon freiwillig und deutlich sichtbar schlaftrunken um 7.30 Uhr zu einem Massenfrühstück? An den angebotenen Weißwürsten mit Händlmaiersenf und rosarot schimmernden Lachsbrötchen allein kann es nicht gelegen haben. Vielmehr war der überwiegende Teil der BesucherInnen neugierig, welche Botschaften Jörg Löhr, laut Veranstalter „Europas gefragtester Motivationscoach“, mit im Gepäck haben würde. Stadtmarketing-Chef Eric Thiel konnte bei Löhrs Begrüßung vor Begeisterung kaum mehr an sich halten: „Wir haben den Besten der Besten geholt“.

Der ehemalige Handballspieler präsentierte sich so, wie es zu erwarten war, allerdings schienen die Ansprüche seiner ZuhörerInnen nicht die allerhöchsten zu sein. Auch ein Mario Barth hätte hier locker gepunktet. So konnte Löhr banale und weitestgehend sinnfreie Erkenntnisse über Unternehmensführung – „menschliche Entscheidungen haben immer was mit Emotionen zu tun“, „Erfolg geht von innen nach außen“, „Sie müssen Ihr Team mitnehmen“ – geschickt garnieren mit lockeren Witzchen, für die ihm das Publikum teils enthusiastisch dankte. Schon nach fünf Minuten hatte Löhr den Saal im Sack und alle folgten brav seinen Anweisungen: Arm hochheben, Nachbarn angucken, mal nach links und mal nach rechts, warum auch immer. Auch einer Aufforderung, Purzelbäume zu schlagen und dazu laut Ohm zu brüllen, wäre wohl eine Mehrheit willig nachgekommen.

Löhrs Gebrauchsanweisungen für erfolgreiche Unternehmensführung basieren auf einem Menschenbild, das man besser nicht mit sich rumschleppt. Motivierte MitarbeiterInnen, für ihn die „Reißer“, seien mit 23 Prozent leider in der absoluten Minderheit. Der Rest bestünde aus „Mitmachern“, „Zaungästen“ oder „schon weg“. Also weg damit? Führungspersönlichkeiten sollten wissen, dass „nur gute Leute zu gebrauchen sind“. Die nicht ausgesprochene Konsequenz aus dem Handbuch der Gnadenlosigkeit kann eigentlich nur heißen: Wer nicht zu „gebrauchen“ ist, den kann man als parasitären Kostenfaktor auch getrost entsorgen.

Gut beraten sei laut Löhr auch derjenige, der in der Lage wäre, „limitierende Überzeugungen“ zu wechseln, denn diese seien „Handbremsen“ und hinderlich für ein blühendes Unternehmen. Da passte es, dass der Top Speaker, durchaus folgerichtig, als positives Beispiel für ständige Veränderungen – die deutsche Schlichtgestalt Franz Beckenbauer erwähnte. Ohne ihn, dem „Mann mit Sogwirkung“, gäbe es, so Löhr im Brustton der Überzeugung, keine Allianz-Arena in München und auch die Fußballweltmeisterschaft 2006 hätte ohne Beckenbauer nicht in Deutschland stattgefunden. Nun wäre eigentlich der Zeitpunkt für die restlichen bayrischen Weißwürste gekommen, umgehend vor Scham zu erröten.

Einen ganz besonderen Erfolgstipp für Unternehmer und Führungkräfte hatte der Erfolgscoach noch. „In Ihren Augen muss ein Bunsenbrenner leuchten, denn wenn Sie nicht brennen vor Begeisterung und Freude, kann nichts Außergewöhnliches passieren“. Bei derart leuchtenden Augen hilft, glaubt man erfahrenen Neurologen, nur noch ein Psychiater, Vampirismusexperte oder gar ein Exorzist.

Nach gut einer Stunde war der Hokuspokus vorbei und ein strahlender Eric Thiel zog aus dem Vortrag sein ganz persönliches Fazit. Die Stadt Konstanz müsse, um ihre Attraktivität zu erhalten und sogar zu steigern, einfach „noch mehr Einnahmen erwirtschaften“. Sehr zufrieden kündigte er

außerdem an, er freue sich schon auf das nächste Unternehmerfrühstück am 18. November, das aber wolle man dann mit etwa 25 Euro pro Kopf „bepreisen“. Klartext: Frühstück nebst gut dotiertem Geschwurbel gibt’s dann nicht mehr für lau. Irgendwie müssen die von städtischer Seite organisierten Anleitungen für eine effiziente Unternehmensgestaltung vor Ort ja finanziert werden.

Thiel stimmt bei seinen bisherigen Aktivitäten in das Hohelied derer ein, die glauben, die Stadt sei das geeignete Spielfeld für ungezügeltes Wachstum und grenzenlose Kommerzialisierung, bei der das Altstadtbild lediglich noch als putzige Kulisse herzuhalten habe. Es ist ja noch nicht allzulange her, da wurde der Konstanzer Bevölkerung wärmstens empfohlen, ihre Einkäufe bis spätestens Donnerstag zu erledigen und die Stadt dann bis Sonntag den Schnäppchenjägern zu überlassen. So kann man Stadtmarketing auch deuten, vor allem dann, wenn einem die Bedürfnisse der Einheimischen ziemlich schnuppe sind.

Anderntags ließ Südkurier-Mitarbeiterin Aurelia Scherrer, seit Jahren schreibende Allzweckwaffe des Konstanzer Einzelhandels und anderer selbstloser Initiativen, die sich aufopferungsvoll um das Wohl der Bürgerschaft kümmern, in ihrem Text wissen, Bestsellerautor Jörg Löhr habe unter den Anwesenden für einen „Motivationsschub“ gesorgt, denn der „Austausch von Geschäftsleuten unterschiedlichster Branchen“ sei im Konzil „regelrecht zelebriert“ worden. Bei Sätzen wie diesen hätte Frau Scherrer ebenfalls erröten können, aber sie ist ja bekanntermaßen keine Weißwurst.