Vom Sterben und Erben

Das Leben endet in der Regel mit dem Tod. Dabei stellt sich aber die drängende Frage: Was machen wir bis dahin? Darüber rätselt ein mir gut bekannter Konstanzer Rentner, wir nennen ihn mal Franz, schon lange nicht mehr. Der Mann hat Zeit und einfallsreich ist er obendrein auch noch. Doch Corona machte Franz rund zwei Jahre lang einen Strich durch seine Rechnung. Aber nun sieht er langsam wieder Land.

Franz, mittlerweile 74 Jahre alt, las in coronafreien Zeiten fast täglich in seinem Lieblingscafe die dort ausliegende Tageszeitung und studierte darin hauptsächlich die Todesanzeigen. Ab und zu kritzelte er dann die Namen von jüngst Dahingeschiedenen auf ein Blatt Papier, grummelte Unverständliches vor sich hin und machte sich schließlich auf den Heimweg in seine kleine Zweizimmerwohnung am Konstanzer Stadtrand.

Zuhause setzte er sich dann regelmäßig an seinen Computer, den ihm sein Schwiegersohn geschenkt hat und recherchierte. Meist zu Personen, die einen großen Bekanntenkreis hatten und jenseits der Achtzig waren. „Am liebsten sind mir Menschen, die beispielsweise während ihrer frühen Jugendzeit in Sport- oder sonstigen Vereinen aktiv waren“. Es sei dann in der Regel kein Problem, Infos aus dem Internet zu ziehen. „Man weiß ja nie, ob nicht jemand genauer nachfragt, da muss ich schon halbwegs nachvollziehbare Antworten parat haben. Ist das der Fall, erzähle ich eben, dass ich mit dem Verstorbenen vor langen Jahren zusammen im Verein war und mich noch gerne an ihn erinnere. Das reicht dann meistens“.

Am Beerdigungstag rasierte sich Franz mit aller Sorgfalt und holte anschließend seinen dunklen Anzug nebst passender Krawatte aus dem Schrank. Franz hatte schon immer eine Vorliebe für Friedhöfe und Franz mag Beerdigungen. Nicht, weil er sich dabei an der Trauer der Hinterbliebenen erfreut. Nein, um die Finanzen des rüstigen Pensionärs ist´s nicht gerade gut bestellt: „Von meiner Rente bleiben nach Abzug der festen Kosten gerade noch 500 Euro übrig, da muss ich schon schauen, wo ich etwas sparen kann“. Also ging er die vergangenen Jahre nach getaner Recherche über den Verstorbenen regelmäßig auf den Friedhof und reihte sich in die Schlange der Trauernden ein.

Da stand er dann am offenen Grab, warf nach dem letzten Amen ein Blümchen in die Grube , kondolierte anschließend dem engsten Familienkreis und äußerte sein Beileid über den Verlust des „lieben Sportkameraden“. Franz ist ein netter älterer Herr und Charme hat er auch. Selbstredend, dass er immer zum üblichen Leichenschmaus eingeladen wurde, dort die ein- oder andere unverdächtige Anekdote zu erzählen wusste und zur sentimentalen Erinnerung beitragen konnte. Das klappte so zwei- bis dreimal pro Monat und zumindest Kaffee und Kuchen waren immer drin, manchmal auch ein opulentes Mittagsmahl. Jetzt will Franz seine Freizeitbeschäftigung wieder aufnehmen, „vorausgesetzt, es kommt nicht wieder eine Seuche um die Ecke“.

Während Franz mir bei meinem letzten Besuch aus seiner Jugend erzählte, fiel mir spontan Onkel Sepp ein, der steinalt wurde und vor einigen Jahren das Zeitliche segnete. Mit ihm verbinden sich allerlei Kindheitserinnerungen. Onkel Sepp bewohnte mit seiner Frau Agathe im Allgäu einen schmucken Bauernhof, besaß mehrere Äcker, einen kleinen Wald und sogar einen Forellenteich. Unser Onkel galt damals als vermögend. In den 60er Jahren hatte er sich als äußerst geschickter Kaufmann erwiesen und gewinnbringend Landmaschinen verkauft.

Wenn wir ihn manchmal Sonntags besuchten, wurde die berühmt-berüchtigte Buttercremetorte von Tante Agathe gereicht. Leider war die verarbeitete Butter meist ranzig, was dazu führte, dass der Verzehr eines Tortenstückchens – „komm, Buberl, jetzt iss´halt noch ein Stückerl, bist eh`so mager“ – meist umgehend zu massivem Brechreiz führte. Aber immerhin gab´s zum Abschied meist zwei Mark, was für uns Kinder zu jener Zeit ein kleines Vermögen war.

Onkel Sepps Beerdigung vor wenigen Jahren war bayrisch zünftig: Ein Pfarrer lobte den Verstorbenen in höchsten Tönen und log dabei in einer liebenswerten Unverfrorenheit, dass es den Barockengeln in der Dorfkirche schier die Zehennägel aufrollte. Rotz und Wasser wurde geheult und der örtliche Gesangsverein schmetterte verstaubtes Liedgut aus dem letzten Jahrtausend: „Wir hatten einen Kameraden….“ Im „Ochsen“ wurde pünktlich zu Mittag gegessen, Braten dampfte, Soßen blubberten, Bier und Schnaps flossen reichlich und alte Geschichten machten die Runde. Eine schöne Leich´ halt. Eben so, wie es sich gehört.

Die Testamentseröffnung zwei Wochen später versetzte dann aber alle potentiellen Erbnehmer aus meiner buckligen Verwandtschaft in jäh einsetzende Schockstarre. Einige hatten sich nämlich schon ausgerechnet, was sie mit dem vermeintlichen Erbe so alles anstellen könnten. Bereits beim Leichenschmaus geisterten Zahlen durch den Bier- und Zigarrendunst, von mindestens 500 000 Euro Gesamtsumme war die Rede.

Das Erwachen für die geifernden Erbschleicher war eher grausam. Schnell stellte sich heraus, dass Onkel Sepp nach dem Ableben seiner lieben Frau ein durchaus lustbetontes Leben geführt haben muss und die Kohle mit vollen Händen aus dem Fenster schaufelte. Der Bauernhof gehörte längst der Bank, seine Felder und Äcker hatte er schon vor zwanzig Jahren verhökert und viel Bares war auch nicht mehr aufzufinden. Dazu: Der Sepp hatte sich in der nahen Kreisstadt eine junge Maid gehalten, der er kurz vor seinem Tod vom Rest seines Vermögens eine flotte Eigentumswohnung finanzierte. „Der Sepp“, verriet in trauter Runde einer seiner ältesten Freunde, „der hat es die letzten Jahr`so richtig krachen lassen“.

Kurz und gut: Nix war´s mit der Erbschaft. Im Gegenteil, Onkel Sepp war am Ende seines Lebens ziemlich blank und insgesamt 18 Erbberechtigte hatten alle Hände voll zu tun, die „Erbschaft“ abzulehnen, denn es gab nur Schulden. Mich hat das beim Notar 30 Euro Bearbeitungsgebühr gekostet. Ich musste herzhaft lachen. Mein Onkel Sepp, der lausige Bazi, hatte irgendwie einen starken Abgang.

Text: Franz X. Holz

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